Freitag, 10. August 2012

Vom Gemeinschaftsgarten bis zum Vertical Farming: Einblicke in den aktuellen Trend des Urban Gardening - Teil I


Bild: Alexandra M. Quint

Es blüht und grünt derzeit in jeder Ecke – nicht nur auf dem Land, sondern vor allem auch in den Städten und Metropolen rund um den Globus. Das Grau der Stadt verschwindet mehr und mehr hinter grünen Blättern und buntem Obst und Gemüse. Der Grund: Urban Gardening - Von einer neuen Bewegung ist die Rede. Dabei treten immer neue Formen und Formate in Erscheinung.

Sie entstehen im öffentlichen und privatem Raum - auf Brachflächen, in Zwischenräumen, auf Balkonen, in Hausgärten und auf Dächern innerhalb und an den Rändern von Städten - Urbane Gärten. Angebaut werden in ihnen vor allem Nutzpflanzen zur Eigenproduktion von Nahrungsmitteln. Dabei wird zum Gärtnern primär auf Ressourcen aus der unmittelbaren Umgebung zurückgegriffen. Konsumiert, verkauft, verschenkt und an Ort und Stelle verspeist wird in den Gärten Produziertes von den GärtnerInnen selbst. Es wird geteilt und getauscht (vgl. hierzu die Ausführungen bei Ella von der Haide)


Urban Gardening hat sich zu einer gesellschaftlichen Bewegung mit globaler Dimension herausgebildet. Die Bewegung ist Ausdruck einer zunehmenden gesellschaftlichen Umorientierung hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Projekte finden sich heute in einer Vielzahl der großen und kleinen Städte und Metropolen der Welt, beispielsweise in New York und Detroit, in Dortmund, Buenos Aires, HamburgLondon, Singapore, Berlin und Melbourne.

Neben dem Allmende Kontor  auf dem Tempelhofer Feld in Berlin (siehe Bild oben) ist der ebenfalls in der Hauptstadt zu verortende Prinzessinnengarten das wohl bekannteste Urban Gardening Projekt in Deutschland. Seit 2009 ist das Nachbarschaftsprojekt auf einer früheren Brachfläche am Moritzplatz in Kreuzberg zu finden. Der Prinzessinnengarten ist eine soziale und ökologische Landwirtschaft. Menschen aus unterschiedlichen Milieus, Kulturen und Generationen gärtnern, imkern und essen hier zusammen. Es wird lokales Biogemüse angebaut und dieses gemeinschaftlich zubereitet. Der Kreuzberger Prinzessinnengarten ist - wie viele andere - ein mobiler urbaner Garten, da die Brachfläche, auf der sich der Garten befindet, befristet angemietet ist. So wird in aufgeschnittenen TetraPacks, in Bäckereikörben und sonstigen Behältnissen gepflanzt, gepflegt und geerntet. Dadurch können ganz nebenbei als "ausgedient" betrachtete Gegenstände einer neuen Nutzung zugeführt werden (Upcycling). 

In Berlin existiert eine Vielzahl urbaner Gärten (siehe hierzu die Zusammenstellung bei GoogleMaps). Darüber hinaus sind hier neben konkreten Projekten jedoch auch Initiativen, die sich der Verbreitung des Urban Gardening-Gedankens verschrieben haben, zu finden, etwa der Dachgärten für alle e.V. und die Initiative Obstbäume im Görli.


Was treibt die urbanen Gärtner an? Woher kommt das (ge)wachsende Interesse am urbanen Gärtnern? Christa Müller, die Herausgeberin des viel zitierten und 2011 erschienenen Titels Urban Gardening - Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt zeigt in ihrem Vortrag Soziale und politische Dimensionen Urbaner Landwirtschaft anlässlich der Eröffnung der Ausstellung - Carrot City - Die Produktive Stadt – in München die Hintergründe auf.

Die Grenzen des westlichen Lebensstils sind erreicht
Eine neue Generation ist sich auf radikal klare Weise bewusst, dass der westliche Lebensstil längst an seine Grenzen geraten ist. Das wachsende Interesse am urbanen Gärtnern rückt im Fahrwasser der globalen Energie- und Ressourcenkrise in den Blick. Die Epoche der billigen Nahrungsmittel wird in absehbarer Zeit für immer beendet sein. [...] Man muss sich vor Augen führen, dass die industrialisierte Intensivlandschaft ohne die Erdölprodukte Kunstdünger und Pestizide völlig undenkbar wäre. [...] Schon heute und mit erstaunlicher Leichtigkeit greifen die urbanen Garteninitiativen die Illusion der westlichen Gesellschaften auf: das auf dem blinden Ressourcenoptimismus beruhende Wachstumsparadigma, der Glaube daran, durch immerwährenden technischen Fortschritt und ökonomisches Wachstum den Wohlstand mehren zu können – und kontrastieren diese Mythen der Moderne mit eigenwilligen sozialen Praxen und postmateriellen Wohlstandsmodellen.
Der Wandel von der Moderne in die Postmoderne
Gehörte es im Zuge des Modernisierungsprozesses zum unverzichtbaren Statussymbol, zumindest in den Industrialisierungsprozessen stark betroffenen Regionen Europas, den Misthaufen vor der Hoftür verschwinden zu lassen, die Gärten zu betonieren, großes Gerät aufzufahren und demonstrativ zu zeigen, dass man in der Lage war, die Dinge zu kaufen statt selber zu machen, steht heute mitten in den hipsten Vierteln der Großstädte die Generation Garten tatkräftig in der Rabatte. Was wir hier beobachten,  ist eine Verschiebung der Statussymbolik hin zu postmateriellen Werten und Lebensstilelementen. Selber machen, selber anbauen, das bedeutet auch, einen eigenen, individuellen Ausdruck in den Produkten finden, sich markant abzusetzen gegenüber den komplett vorgefertigten Industriewaren.
Der urbane Garten als Faszinosum der passiven Konsumgesellschaft und Freiraum der Kreativität
Urbane Gärten sind selbstorganisierte Erfahrungsräume, in denen der eigene Körper und das Selbst in ein fruchtbares Verhältnis zur Umgebung gesetzt werden – ohne vorgefertigte Ergebnisse. Dies ist in einer eher durch und durch vom passiven Konsum bestimmten Gesellschaft tendenziell ein Faszinosum. Die Erfahrung, dass man zwei Hände hat und mit ihnen sowohl manuell wie zugleich wie zugleich kognitiv die Welt im wahrsten Sinne des Wortes begreifen kann, interessiert insbesondere die in virtuellen Räumen aufgewachsenen Digital Natives zunehmend mehr. 
Open Source und Teilhabe
Aus den Internet-Kulturen in die analoge Welt migriert ist auch die zentrale Leitidee der Gemeinschaftsgärten, die „Open Source“ heißt. Diese Gärten werden wie Allmenden genutzt und inszeniert; auch wenn die Aktiven nicht Eigentümer der Flächen sind: Partizipation und Einbeziehung der Nachbarschaft sind Common Ground. Urbane Gärten fordern zur Teilhabe auf. So kommt eine Menge an Wissen zusammen und wird produktiv gemixt. [...] Die Begrenztheit der Mittel, mit der sich der urbane Bauer zwangsläufig konfrontiert sieht – ob Boden oder Material, Werkzeuge oder Kenntnisse -, verwandelt sich durch die gemeinsame Nutzung in eine Ökonomie der Fülle, der Erfinderreichtums, des Gebens und der Geselligkeit.
Urban Gardening als Protest 

Gärtnern dient auch dazu, die Codes der Lebensmittelindustrie zu knacken. Im Gemüseanbau liegt Selbstermächtigung, man begegnet den grundlegenden Fragen der Subsistenz: Woher kommt das Essen? Wie kann man sich organisieren, dass die Sorge für das Lebensnotwendige Spaß, Sinn macht und gleichzeitig Gemeinschaft schafft? Und natürlich die Frage: Wem gehört das Land?

Vor diesen Hintergründen sind urbane Gärten nicht selten gemeinschaftlich betriebene Projekte, die basisdemokratisch nach Alternativen zur bestehenden Wirtschaft, Politik und Gesellschaft suchen. So tragen die Gärten nicht nur zur nachhaltigen Produktion von Nahrungsmitteln bei, sondern ermöglichen zudem das Transportieren politischen Protests, den Aufbau sozialer Netzwerke und die aktive und eigenständige Gestaltung der unmittelbaren Umwelt. Das primäre Anliegen der Macher von Urban Gardening liegt in der Wertschätzung der kleinbäuerlichen und der Subsistenzproduktion sowie in der Erfahrung und Einübung einer Logik, die nicht auf Verwertung, sondern auf Versorgung ausgerichtet ist. Urban Gardening fungiert als Plattform und Erfahrungsraum für die Erkenntnis, dass die Nahrungsmittelfrage eine zentrale gesellschaftliche Frage ist, für die es Lösungswege aufzuzeigen gilt. Anliegen der Bewegung ist es deutlich zu machen, dass die Versorgung mit den lebensnotwendigen Dingen nicht länger der Industrie oder dem Markt überlassen werden sollte. Stattdessen bedarf es der Eröffnung ganz neue Koalitionen zwischen Zivilgesellschaft und Gemeinwesen, sich mit den grundlegenden Fragen der Existenz zu befassen und Schnittstellen zwischen kultureller, sozialer und ökonomischer Produktivität als wirkliches Zukunftspotenzial zu entdecken. 


Der große und weltweite Erfolg der Buttom Up Bewegung hat zur intensiven Beschäftigung von Wissenschaft und Politik mit dem Thema geführt, woraus Top Down betrachtet und gesteuert, neue Formen und Formate des urbanen Gärtnerns sowie Strategien der produktiven Landschaft (weiter-)entwickelt und erprobt  werden. Beleuchtet wird diese Entwicklung in Teil II des Artikels "Vom Gemeinschaftsgarten bis zum Vertical Farming: Einblicke in den aktuellen Trend des Urban Gardening". Lies' den zweiten Teil in der kommenden Woche - hier bei Enter the City!

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